Familienberatung


Therapeuten gehen davon aus, dass viele psychische Probleme, Verhaltensauffälligkeiten, psychosomatische
Erkrankungen und Suchtkrankheiten ihren Ursprung im Beziehungsnetz des betroffenen Erwachsenen oder Kindes
haben. Symptome resultieren also aus pathogenen Strukturen und Prozessen im sozialen Umfeld dieser
Personen, insbesondere aus ihren Ehe- und Familienbeziehungen. Ehe- und Familienberater/innen schreiben
aber den Betroffenen und den Menschen in ihrem Umfeld nicht die Schuld für die Störungen zu, sehen diese
nicht als Verursacher. Vielmehr gehen sie von einem systemtheoretischen Modell aus, nach dem jedes Element
(Einzelperson, Subgruppe) von den anderen bestimmt wird und diese wiederum beeinflusst, nach dem es keine
einfachen Ursache-Wirkungs-Abläufe gibt, sondern komplexe Ereignisketten, Rückkoppelungsprozesse und
zirkuläre Vorgänge.

Das "gestörte" Individuum wird als "Symptomträger" bezeichnet, da seine Symptome auf pathogene Beziehungs-
und Familienstrukturen bzw. -prozesse verweisen und diese symbolisieren. Die psychischen Probleme oder
Verhaltensauffälligkeiten der Einzelperson werden somit in engem Zusammenhang mit interpersonalen
Konflikten, Familienkrisen, unzureichend erfüllten Rollen, Kommunikationsstörungen, problematischen
Beziehungsdefinitionen usw. gesehen. Aus dieser Sichtweise ergibt sich, dass das Beziehungsnetz des
Symptomträgers zur eigentlichen Behandlungseinheit werden muss - für Familienberater ist in erster Linie
der "Patient Familie" therapiebedürftig, für Eheberater die Partnerbeziehung. Somit klären Ehe- und
Familienberater die zwischenmenschlichen Ursachen von Problemen, helfen bei der Lösung von Konflikten,
verändern Kommunikationsprozesse, Beziehungsdefinitionen, Rollen und Systemeigenschaften. Dadurch werden
indirekt auch das Verhalten und Erleben der Familienmitglieder modifiziert - und die Störungen des
"Symptomträgers" behoben, da ihre Ursachen und die sie aufrecht erhaltenden interpersonalen Prozesse
wegfallen.

Generell fördern Ehe- und Familienberater das partnerschaftliche Zusammenleben in Ehe und Familie. Sie
sind an die Stelle der kommunikativen Prozesse getreten die durch die Industriegesallschaftliche
Neuordnung zum erliegen gebracht worden ist. Durch Schule und Beruf findet Familienleben nicht mehr statt,
was zu den entsprechenden Defiziten führt.

Ablauf einer Ehe- bzw. Familienberatung

Zunächst müssen interessierte Personen telefonisch einen Beratungstermin vereinbaren. Beim ersten
Gespräch - an dem möglichst beide Partner (und ihre Kinder) teilnehmen sollten - begrüßt der Berater die
Familienmitglieder, bietet ihnen Sitzplätze an und leitet die wechselseitige Vorstellungsrunde ein. Da
beide Seiten in dieser Situation oft nervös, unsicher, aufgeregt oder ängstlich sind, werden vielfach
zunächst allgemeine Gesprächsthemen angeschnitten, bis sich alle Anwesenden ein wenig entspannt haben.
Dann werden in der Regel Daten über die Partnerbeziehung bzw. Familie erfragt. Anschließend werden die
vorherrschenden Probleme und Konflikte ermittelt. Der Berater stellt ähnliche Fragen nacheinander an jedes
einzelne Familienmitglied, sodass er einen Eindruck von den Sichtweisen und Schwierigkeiten einer jeden
Person bekommt. Ferner fragt er nach den Vorstellungen der Klient/innen von einem befriedigenden Ehe- bzw.
Familienleben.

Schon im Erstinterview sammelt der Berater eine Vielzahl diagnostisch relevanter Informationen, verschafft
sich einen Eindruck von den vorherrschenden Problemen und stellt erste Vermutungen über deren Ursachen an.
Vereinzelt greift er schon therapeutisch ein, fördert z.B. einen guten Kommunikationsstil und das
wechselseitige Verstehen der Familienmitglieder, stärkt die Autorität der Eltern, kontrolliert modellhaft
das Verhalten der Kinder oder hilft bei der Bewältigung von Krisen. Ferner klärt er, ob überhaupt eine
Ehe- bzw. Familienbehandlung sinnvoll ist oder ob die Klienten an andere psychosoziale Einrichtungen zu
überweisen sind. Hält er eine Ehe- bzw. Familientherapie für geeignet, informiert er über deren Ablauf,
Anforderungen und Bedingungen. Er definiert seine eigene Rolle, klärt Erwartungen und geht auf
Missverständnisse ein. Schließlich bespricht er mit den Familienmitgliedern die Ziele für die
weitere Behandlung.

In den nächsten Sitzungen werden die Ursachen von Problemen und Konflikten ermittelt (Diagnose) und
positive Veränderungen einzuleiten versucht. Zur Verbesserung der Ehebeziehung erforscht der Berater z.B.
verdeckte Erwartungen, klarifiziert Einstellungen und ermutigt zum Ausdruck verdrängter Gefühle.
Er spricht mit den Partnern über Probleme im Intimbereich und behebt sexuelle Störungen. Ferner hilft er
ihnen, mit Konfliktsituationen fertig zu werden. Das kann beispielsweise in folgenden fünf
Schritten geschehen:

1. Der Eheberater unterbindet Einmischung und Konfliktvermeidung, aktualisiert Konflikte und enthüllt Geheimnisse.
2. Er identifiziert das Problem und verlangt eine klare Definition der unterschiedlichen Standpunkte.
3. Dann stellt er Verhaltensregeln für ein offenes Gespräch auf und gewährleistet ihre Befolgung.
4. Er leitet die Verhandlung und fördert ein tieferes Erforschen des Problems und seines Kontextes.
5. Er lehrt Problemlösungstechniken, hilft bei der Suche nach Lösungen und strebt Kompromisse an.

Dabei werden oft Kommunikationsfertigkeiten geschult. So macht der Eheberater inkongruente Botschaften
bewusst, interpretiert nonverbale Verhaltensweisen, hilft beim Decodieren von Botschaften und lehrt
Zuhören und Feedback-Geben.

In der Familienberatung wird beispielsweise die Struktur einer Familie verändert, indem Koalitionen
zwischen Familienmitgliedern aufgebrochen, symbiotische Beziehungen (z.B. zwischen Mutter und Kind)
aufgelöst, Grenzen zwischen familialen Subsystemen oder zu sich einmischenden Schwiegereltern gestärkt und
Rollen wie die des Symptomträgers oder Sündenbocks hinterfragt werden. Der Berater hilft älteren Kindern,
sich von der Familie abzulösen und selbstständig zu werden. So informiert er die Eltern, welche Rechte,
Anforderungen, Aufgaben und Belohnungen der Entwicklungsstufe des jeweiligen Kindes entsprechen. Ferner
hilft er Eltern, dem Verhalten des Kindes angemessene Grenzen zu setzen, bestimmte Regeln aufzustellen
und diese aufrechtzuerhalten. Auf solche und ähnliche Weise verbessert er ihr Erzieherverhalten.


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